Über die Arbeit und den Künstler

„Das diesjährige Thema „Leben und Tod – Tod und Leben“ beschäftigt mich schon lange als Künstler, ist doch das verbindende Element aller meiner Arbeiten das Phänomen des Klangs, dessen Grundlage ein stetiges Werden und Vergehen ist. Im Rahmen von „Kunst in Kirchen“ stelle ich meine aktuelle Arbeit „Kontinuum“ vor, mit der ich die Wahrnehmung von Zeit thematisiere.

Für diese Arbeit habe ich mich wie bereits bei meiner Installation „Chromatic Drift“ mit der zyklischen Beschaffenheit von akustischen Schwingungen auseinandergesetzt. Als Basis hierfür dient eine mechanische Skulptur, welche die chaotische Natur des Lebens durch mehrere, asynchron zueinander rotierende Scheiben repräsentiert, deren Bewegungen in Klang übersetzt werden.

Gleichzeitig symbolisieren die ständig verändernden Konstellationen der einzelnen Elemente zueinander die Begegnungen mit anderen Menschen auf unseren Lebenswegen. Ob bedeutsam oder nicht, die gemeinsam verbrachte Zeit ist immer nur von begrenzter Dauer.  

Ein Aspekt, dem ich bei dieser Arbeit besondere Aufmerksamkeit widme, ist die Zeit. Sie wird als eine Abfolge von separaten Momenten verstanden, die in einem gleichmäßigen Rhythmus fortschreiten. Augustinus unterschied aber bereits im dritten Jahrhundert zwischen messbarer und subjektiver Zeit, da unsere Wahrnehmung stark von der Dichte des Erlebten abhängig ist: ein ereignisreicher Tag vergeht subjektiv schneller als ein Tag, an dem nur wenig passiert.

Klang ist als Schwingung elementar mit der Zeit verbunden, und bietet daher die ideale Grundlage zur Erfahrung dieses Phänomens.

Durch die bewusste Vermeidung von rhythmischen Elementen und die kaum wahrnehmbare Abfolge von Ereignissen erlaubt es „Kontinuum“, den Fluss der Zeit ganz bewusst zu erleben.

Unser zivilisatorisches Verständnis von „diskreter Zeit“ (bei der jeder Augenblick vom nächsten durch das Fortschreiten der Sekundenzeiger abgegrenzt ist) wird ersetzt durch ein Verständnis von Zeit als lineares Phänomen, das sich unendlich fein unterteilen lässt. „Die Arbeit, die ich im Rahmen von „Kunst in Kirchen“ ausstellen werde, ist durch das Ambiente der Heilig-Geist-Kirche inspiriert. Der offene, helle Raum mit seiner markanten Lichtstimmung bietet für mich den perfekten Ort, um meine Klanginstallation in Szene zu setzen. 

Mein Ziel ist es, neben der Erfahrbarmachung des Phänomens Zeit das Werden und Vergehen in Klänge und Rhythmen zu übersetzen, die eine tiefere Wahrheit enthüllen; ein Geheimnis, das sich nicht in Worte fassen lässt.“

(Jan Ove Hennig)


Jan Ove Hennig alias Kabuki, geboren 1973, ist Klangkünstler, Musikproduzent und Pionier der Jungle-Szene aus Frankfurt. Grundlagen für seine Arbeit entstanden unter anderem durch seine musikalische Ausbildung am Dr. Hoch’s Konservatorium in Frankfurt (Abteilung für klassische Gitarre), am American Institute of Music in Wien (mit Schwerpunkt Jazz) sowie abgeschlossene Kurse ‚Sound Synthesis using Reaktor‘ (California Institute of Arts) und ‚Structuring Interactive Software of Digital Arts’ (Stanford University).

Hennig veröffentlichte über 200 Einzeltitel und 10 LPs und produzierte Remixe für so unterschiedliche Künstler wie Ennis Morricone, Tinashe und die Hot 8 Brass Band und hatte zahlreiche Auftritte mit modularen Synthesizern, sowohl bei Konzerten als auch bei Clubveranstaltungen. Er entwickelte Videoinhalte unter anderem für Softube (Modular Sound Explorations) und Korg (Sequencing Strategies) und veröffentlichte Artikel in Zeitschriften und Büchern, wie zum Beispiel „Patch & Tweak with Korg“ für den renommierten ‚Bjooks‘ Verlag und war Artist in Residence beim Dresden Audio Visual Experience Festival im Jahr 2020.

Zu seinem vielschichtigen künstlerischen Leben zählt auch seine Dozentenstelle am Abbey Road Institute in Frankfurt für Max/MSP und Sound Synthesis.

Seine großformatiger Audioinstallationen waren unter anderem in nationalen deutschen Museen zu sehen.

Mehr über Jan Ove Hennig finden Sie hier.